Raul Walch

(Deutschland) *1980 in Frankfurt/Main

Der in Berlin lebende Künstler Raul Walch studierte dort unter anderem bei Olafur Eliasson an dessen Institut für Raumexperimente. Weltweit präsentiert Walch seine ephemeren und ortsspezifischen Interventionen, in denen er sich genreübergreifend mit Textilien und ihren materiellen Qualitäten auseinandersetzt. Seine charakteristischen, oft bunt zusammengesetzten oder bemalten Stoffbahnen dienen als Drachen, als Spinnaker für Segelboote oder auch als Fahnen ohne repräsentative Symbole. Gleich an vier Standorten ist Walch bei „Blickachsen 11“ vertreten: in Bad Homburg, auf Burg Eppstein, in Frankfurt und in Kronberg. Als wiederkehrendes Erkennungszeichen verbinden seine für die Ausstellung gestalteten und auffällig im Wind wehenden Stoffe diese Stationen der „Blickachsen“. Wie ein riesiger Schiffsmast im Bad Homburger Kurpark wirkt die Arbeit „Blue Hour“, an deren Gestänge 48 Leinenflaggen in unterschiedlichen Blautönen angebracht sind. Durch die Bewegung der Stoffe im Wind verschmelzen die Farbfelder auf den einzelnen Flächen optisch miteinander – und mit der Zeit werden sie sich wetterbedingt tatsächlich einander angleichen. Die unvorhersehbare Farbveränderung spiegelt sich in den uneindeutigen Lichtverhältnissen zur titelgebenden Blauen Stunde.

Für den Standort der „Blickachsen 11“ auf Burg Eppstein hat Walch in Auseinandersetzung mit dem Bauwerk und dessen Geschichte eine ortsspezifische Installation entworfen, die unsere Wahrnehmungsgewohnheiten herausfordert. Über dem Turm und den Mauern der Burg wehen schimmernde Fahnen mit abstrakt-geometrischen Mustern. Die sich im Wind bewegenden Stoffe brechen die unebenen, monotonen Flächen der Burgruine auf, geben ihnen Farbe und reflektieren Licht. Diese farbig leuchtenden und metallisch spiegelnden Flächen der Installation „Burgfrieden“ sind weit über die Burg hinaus sichtbar. Die Installation stellt eine direkte Verbindung her zur Bedeutung von Fahnen als Signal und als non-verbales Kommunikationsmittel und sie kennzeichnet die Burg als Rückzugs- und auch Zufluchtsort. Neben der Auseinandersetzung mit dem Ort spielt in der Arbeit auch Zeitlichkeit eine elementare Rolle, denn die Farben der Fahnen verblassen während der Dauer der Ausstellung. Als zusätzlichen Ortsbezug hat Walch technische Folien einer traditionsreichen lokalen Firma in die Arbeit einbezogen.

Als weiches und bewegliches Gegenüber werden bei „Blickachsen 11“ vier Stoffe an den Fahnenmasten des Campus Westend gehisst. Durch ihre Beweglichkeit kontrastieren sie die klaren Linien und Geometrien des Poelzig-Baus. Die kinetische Arbeit von Raul Walch greift Ornamente des präzisen architektonischen Rasters des Gebäudes auf, überführt diese jedoch in eine malerische Fläche. Eine solche Transformation der Fassade in textiles Material versinnbildlicht Hans Poelzigs Fassadenauffassung, die sich mit der ‚Bekleidungslehre‘ des Architekturtheoretikers Gottfried Semper auseinandersetzt: Poelzig entwarf für die Gebäudefassade ebenfalls ein ‚Kleid‘, allerdings ein schützendes und schmückendes, ohne die Konstruktion zu verhüllen. Während das Mauerwerk des heutigen Campus­baus seit Jahrzehnten statisch an einem Ort verbleibt, verändert sich Walchs Arbeit nicht nur sekündlich durch die Luftbewegung, sondern auch langfristig aufgrund der sich zersetzenden Stofflichkeit und der verblassenden Farben: Die verwendeten Pigmente sind natürlichen Ursprungs und nicht synthetisiert. Deutlich heben sich die leuchtenden Stoffe von der steinernen Travertin-Fassade ab und verleihen dadurch dem so kontroversen und geschichtsträchtigen Bau ein zusätzliches Gewand.

Für den Kronberger Standort der „Blickachsen 11“ hat Raul Walch die Arbeit „Untitled Semaphore“ entworfen. Ein aufwendig mit Acrylfarben bemalter Leinenstoff ist wirkmächtig am wilhelminischen Fahnenmast vor dem ehemaligen Schloss Friedrichshof angebracht. Das derart bearbeitete Textil verbindet aufgrund seiner Installation malerische mit skulpturalen Effekten und geht in dieser künstlerischen Bestimmungsfrage über die ursprüngliche Funktion der Fahne hinaus. Auch trägt diese Beflaggung keinerlei Wappen oder andere Symbole, sie ist nicht als Geste des Besitzes gehisst. Ihr Anblick ruft zwar die Geschichte des Schlosses als kaiserliche Residenz in Erinnerung, doch nur, um die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu lenken: auf die heutige Nutzung des Gebäudes als Ort der Freizeitgestaltung und der Kultur – und als Ort der künstlerischen Reflexion. Hierauf verweist auch der vielschichtige Titel des Werks, das imaginäre Blickachsen zu den Arbeiten Raul Walchs an weiteren Standorten der Biennale aufspannt: Ein Semaphor(e) ist ein Signalmast mit beweglichen Elementen zur optischen Zeichengebung oder auch ein Winksignal zur Kommunikation mittels Flaggen; in der Informatik wird der Begriff im Kontext der Prozess-Synchronisation verwendet.