Werke

Ohne Titel

Ohne Titel 19

Backstein, Ziegel und Ziegelbruch gehören seit den mesopotamischen und ägyptischen Hochkulturen (Zikkurat und Pyramide) zu den ältesten von Menschenhand genutzten Materialien. Es sind die einfachsten aus der Natur gewonnenen Bausteine, die sich beliebig fügen lassen. Sie symbolisieren gleichsam das Bauen selbst, da sie historisch und technisch engstens mit der Architektur entstehen. Dem Material gemäß wachsen die Bauten in senkrechten und waagerechten Achsen empor. Kanten, Ecken und runde Wölbungen bilden in der Regel die Formen und schaffen die Räume. Wie die Räume eines jeden Gebäudes sich nach außen abschließen, sich auf die Schwere der Erde konzentrieren und nach innen Hohlräume bilden, so gewinnt auch die Ziegel-Plastik ihre Gestalt in Raum und Verortung. Sie ist immer eine architektonische Plastik und bleibt dennoch das Ergebnis reiner Handarbeit. Da sie ihrer Tradition nach die große Form des freistehenden Monolithen anstrebt, ist sie mehr als jede andere Gattung für die Freiplastik prädestiniert.

Reiner Seliger hat konsequent aus der Behandlung des Ziegels seine Sprache entwickelt und sie etwa in dem Ziegelwerk „Sesto" von 1998 für die Architekturgalerie München in der Technik des sogenannten „falschen Gewölbes" vorgestellt. Hier konstruierte er in mörtelloser Fugung und Schichtung des rohen Ziegels eine auch statisch feste Ordnung. Von kleinem Standfuß ausgehend, runden sich die schwellenden Schichten regelmäßig ab und schließen sich in versetzter Auskragung Fuge an Fuge zu einem Gewölbe zusammen.

Kennzeichnend für alle Bauten bzw. Plastiken Seligers, die in meist sinnlich rotgebranntem Ziegel ausgeführt sind, bleibt die organisch an- und abschwellende Grundstruktur. Diese schließt sich zu geometrischen Grundformen (Kugel, Oval, Kegel) zusammen und vermeidet im Gegensatz etwa zu Heerich und Kirkeby jeden rechten Winkel. Seligers Gehäuse bleiben tür- und fensterlos, es sind zweckfreie, künstliche Konstruktionen, die nicht gesockelt sind, sondern wie Urgebilde der Materie aus dem Boden gewachsen scheinen, eher archetypische, prähistorische Monumente und geheimnisvolle Kammern wandernder Nomaden. Erinnerungen an die steinernen Nuraghe Sardiniens bleiben im Gedächtnis. Gerade die mehrfache Gruppierung zu einer Trias wie in Bad Homburg fördert den Eindruck einer von Menschenhand erbauten, verlassenen Siedlung. Der Eindruck archaischer Unverrückbarkeit korrespondiert mit dem Unvermögen, sich in der Deutung dieser „Rohbauten" zwischen einer Totenstadt und Vorratskammern, Tod und Leben zu entscheiden. Das Alltägliche jedenfalls ist in Verbindung mit diesen verschlossenen Formationen ebenso fremd wie die Vorstellung himmelstürmender Lichttürme.

Künstler Reiner Seliger
Erstellungsjahr2001
TechnikZiegelstein und Mörtel
Maße350 x 800 x 500 cm
ausgestellt inBlickachsen 3, Bad Homburg

Kunstwerke von Reiner Seliger

Blickachsen 3