Werke

Amativite

Amativite 16

Wendet man sich von der Mitte des Schmuckplatzes hangabwärts dem Kurpark zu, so stößt man auf das käfigartige, überlebensgroße Gehäuse, das im Schatten eines grazilen Baumes steht. Es handelt sich nicht wie noch in den „Blickachsen 2" um eine jener betretbaren, transparenten Kabinen („Vier Möglichkeiten"), die eine „assoziativ-intellektuelle Reaktion herausfordern" (Uwe Rüth). Hier waren über den Türen die Begriffe eingraviert, unter deren Vorzeichen man die Wahl hatte, einzutreten. Es betraf die Lebenssäfte und den Geschmackssinn, Emotion und Konsumverhalten.

In dieser neuen Arbeit handelt es sich um eine durchlässige enge Stahlbox, die an Vorder- und Rückseite gänzlich durch ein Strebewerk bzw. Gitter gleichmäßiger Quadrate (je Seite 24 Felder) gerastert ist. In die waagerechten Querstangen sind genau an den jeweiligen Kreuzungspunkten sprachlich überstilisierte französische Begriffe eingraviert (je Front 15 Begriffe), die einem Lehrbuch psychologischen Verhaltens entstammen könnten. Die Wörter der Vorderseite und jene der Rückseite korrespondieren kompositionell exakt miteinander. Sie ergeben Begriffspaare wie „Philogeniture" (Liebe zu Kindern) und „Configuration (Gestaltung), „Vénération" (Ehrfurcht) und „Calcul" (Berechnung). Zwischen den Wörtern der Vorder- und Rückseite, aber auch zwischen den benachbarten Begriffen ergeben sich nun aber keine einleuchtenden Sinnzusammenhänge, sprechen doch gerade derartig „weihevolle" Wörter intensiver als jede Alltagssprache Erinnerung und Dauer an.

„Wie auf den Giebeln von Monumenten oder auf einem Grabstein erhebt die Inschrift den Anspruch, endgültig zu sein" (Daniel Abadie). Jede dem entgegenstehende Begriffskoppelung führt somit zu einer „babylonischen" Begriffsverwirrung, die sich offenbar immer dann einstellt, wenn der Verstand durch Gefühl und Liebe (Amativité) ausgehebelt wird.

In eine derartig irritierende Situation gerät hier unvermutet der Besucher, der den Park zu betreten beginnt und sich nach Schönheit und Stille, Weite und Licht sehnt. Das unverrückbare Objekt Plensas präsentiert sich dagegen als „Käfig" der Gefühle. Trotz seiner Offenheit gleicht dieser der „Zelle eines Klosters" (so Lorand Hegyi) oder noch eher eines Gefängnisses, in welchem der von Trieben und Wünschen beherrschte Mensch seinen eigenen Ideen, Vorstellungen, Fiktionen und Erinnerungen ausgeliefert ist.

Künstler Jaume Plensa
Erstellungsjahr2000
TechnikStahl
Maße275 x 177 x 60 cm
ausgestellt inBlickachsen 3, Bad Homburg