Werke

Für Lenné

Für Lenné 23

21.05.2001
Inzwischen steht die Skulptur in Bad Homburg und vermag, so hoffe ich, so manche Blicke auf sich zu ziehen. Der Koloss lebte nicht mehr als ich ihm begegnete. Ich fand die Eiche vor, wie ein Erinnerungsstück an sich selbst. Vor mir lag ein Stamm von etwa 6 m Länge und einer Dicke von 1,5 m. Der wuchtige Wurzelstock verwies in die Krone, die nur noch zu ahnen war. Alles andere war verschwunden, schön sauber gemacht und für die Spurenbeseitigung Sorge getragen. Doch zwei Äste lagen noch da, die für mich aber wie Bäume herumlagen, so dick waren sie. Im Liegen ganz eigenständig.

Diese beiden Baum-Äste kamen als Begleitung mit nach Hasselbach. Sie schauten zu, als ich mich in mehreren Wochen dem 7 Tonnen Massiv mit Respekt annäherte. Sie kennen die Angst vor dem leeren Blatt, der ersten Zeile nach oft verworfenem erstem Wort.

Von außen betrachtet zeigte sich der dickrindige Stamm ohne besondere Wachstums-Bewegung. Im Inneren jedoch stieß ich auf eine bewegte Vergangenheit, wenn ich den ungewöhnlich dicken und ebenso ungewöhnlich verschieden laufenden Splint als Zeugnis werte. Erst mit der Entfernung des Splint, kommt man dem Eigenleben näher, das sich so vereint mit der Rinde umschalt und schützt. Das Freilegen, das Entschalen oder gar das Enthäuten bringt den ersten Kontakt und geschieht mit einem Schäleisen, das ein gutes Bild ist für den Vorgang ...

In Bad Homburg nahm ich „die Heimat" der Eiche auf, die auslaufenden Wiesen, die sich unter den Bäumen wegmachen, als wollten sie ins Weite, die raumbildenden Solitär-Bäume, die grenzenbildenden auch wie die Gebüsche, Sträucher etc., die zu den Höhen der gestrandeten Riesen hin vermitteln. Besonders natürlich spielen die direkten Nachbarn eine Rolle. Ihre Größe, Ihr Umfang, die Kronenbildung, die Umrissformen, der Habitus schließlich und: abstrakter gesagt, die Volumina und Ihre bestehenden Zwischenräume oder wie sich wer zu wem verhält.

Bei den Parkplänen interessierten mich insbesondere die Höhenlinien, die die Hanglage messbar visualisieren. Denn: diese zu vertikalisieren war eine sich direkt einstellende Idee, als ich noch überhaupt nicht wusste, ob ich nicht besser mit einer liegenden Skulptur den eingelösten Behauptungen der Bäume Stand halten könne ...

Verschreibt man sich einem Gestaltungsvorhaben, buchstabiert man gleichzeitig sein Irren, das sein muss, wenn ein Wollen Form werden soll. Also dieses Agens eines sich perpetuierenden Für und Wieder, einem Ein- und Ausgrenzen, das sich weniger fremdenfeindlich anhört, wenn es wesentlicher um das Erkennen geht, wie das eine das andere benötigt, um seinem noch unbekannten Sein-Wollen näher zu kommen. Übrigens war es ja auch gerade der englische Garten, der besonders in den Frühformen versuchte, das Fremde, andere Kulturen in die Anlagen mit offenen, fließenden Grenzen zu integrieren. Sie wollten in der Ablösung des mehr und anders geplanten französischen Gartens die absolutistischen Setzungen ins Demokratische verändern.

22.05.01
Zweidimensionale Bilder bilden oft imaginär ihre Räume, setzen ihre Binnengliederungen Räumen in Museen, allgemeiner gesagt, geschlossenen Umräumen aus. Häuser, ob Architekturen oder keine, bergen die Räume innen im Kontakt zum Draußen. Hügel, Täler, Wiesen, Felder, Flüsse können wir nennen, wenn sich das, was sich zur Landschaft bildet, aufzählen und uns dabei gar nicht auf Natur oder die verschiedenen Naturen einlassen. Ebenso nicht, wie zuvor auch nicht auf Schönheit und was diese sein kann ...

Einen Dialog mit dem Bad Homburger Stamm der Erstbepflanzung des dortigen Lenné-Parks und seiner heutigen Gestalt suchen zu können, setzte die Gedanken frei, die ich hier mehr aneinander gereiht habe, als sie vielleicht einem schlüssigerem Continuum folgen sollten. Aber auch das Schreiben hält spurenhaft fest, was anders hätte verlaufen können. Der verwendete Stamm, seinem bisherigen Kreislauf entnommen, ist ein Abschnitt wie Zeitschnitt. Er wurde einem anderen Leben übergeben ...

Ich fragte mich, wie kannst du den Stamm, der mir von Beginn an für seine Länge zu dick war, grundsätzlich anderen Proportionen zuführen. Der Einfall, ihm ein Stück zu entnehmen und in die Höhe versetzt wieder einzuverleiben, gab mir Gewissheit, mich dem Baum und seinem so ausgeprägten Bei-Sich-Sein näher gekommen zu sein, das heißt, ihn in der Wegführung von seinem so Stamm-geprägten Gewachsensein entrückt zu haben, dass er mir fremder wurde. Manchmal gelingt es einer Arbeit, ihr wie fremd gegenüber zu stehen und sich fragen zu können, was ist geschehen?

Die Löcher bohrten sich leichter als gedacht. Ich sehe die Lochpaare und denke an die vielen Alleen und Blickachsen, die auch Sckell, Pückler oder Lenné in England die Augen öffneten für alles sich Durchdringende, wenn etwas Neues entstehen will.

Brief in Auszügen von Erwin Wortelkamp an Gottlieb Leinz vom 21., 22. Mai 2001.

Künstler Erwin Wortelkamp
Erstellungsjahr2001
Technikamerikanische Roteiche/Erstbewuchs des Kurparks
Maße630 x 110 x 97 cm
ausgestellt inBlickachsen 3, Bad Homburg

Kunstwerke von Erwin Wortelkamp

Blickachsen 3